Astrid Tomczak-Plewka
Wenn Joël Bloch von den Anfängen seiner Leidenschaft für Biologie spricht, klingt das ziemlich unspektakulär. «Ich glaube, das fing schon früh an», sagt er. «Als Kind war ich fasziniert von Tieren, Technologie und speziell von Dinosauriern.» Nun teilen viele Kinder die Leidenschaft für die urzeitlichen Wesen – aber die wenigsten davon würden Jahre später sagen: «Forschung ist mein grösstes Hobby». Genau das sagt Joël Bloch. Die Grundlage dafür wurde in der Kantonsschule Wattwil gelegt, wo der Teenager das Schwerpunktfach Chemie und Biologie belegte. «Es war ein Schlüsselerlebnis, als ich das erste Mal die Struktur eines Proteins gesehen und entdeckt habe, dass diese winzig kleinen Dinger unglaublich komplexe Maschinen sind, die sehr komplizierte Vorgänge katalysieren können.» Danach wusste er: Biologie sollte es sein.
«Dritte Sprache des Lebens»
Nach seinem ETH-Studium und einem Forschungsaufenthalt am Weizman-Institut in Israel – bei Chemie-Nobelpreisträgerin Ada Yonath – doktorierte er in Zürich mit einer Arbeit zu Zuckermolekülen, die an Proteinen in Zellmembranen angeheftet werden. Diese so genannten Glykane sind eine Art «Identitätskarte» für den Zelltyp oder jeweiligen Organismus. «Auch die Blutgruppe wird dadurch definiert. Deshalb wird die Glykobiologie oft als ‘dritte Sprache des Lebens’ bezeichnet – neben der DNA und den Proteinen», sagt Bloch. Die am weitesten verbreitete Klasse der Glykane sind komplexe «Zuckerbäume», die als «molekulare Identitätskarten» an Proteine angeheftet werden. Vor dem Anheften werden die «Zuckerbäume» schrittweise von einer komplexen Enzymkaskade zusammengebaut. Während diesem Aufbau-Vorgang sind die Glykane mit Fettmolekülen der Membran des so genannten endoplasmatischen Retikulums – ein Organell der Zelle – verknüpft.
Bloch ist es gelungen, die Struktur eines dieser Maschinchen, ein Enzym, aufzuklären, die für den Aufbau dieser Kombimoleküle verantwortlich sind. Das Maschinchen heisst ALG6 und gehört zu einer ganzen Familie von so genannten Glykosyltransferase-Enzymen. «Wir konnten Schlüsse für die ganze Enzymfamilie ziehen und eine Art Blaupause dafür abgeben, wie diese Enzyme aufgebaut sind, und wie sie funktionieren», sagt Bloch. Zusammen mit seinen Ko-Autoren entwickelte er zudem einen «Molekularen Glykan-Baukasten», der es ihm ermöglichte, die gesamte ALG-Enzymkaskade im Reagenzglas nachzubauen und zu studieren. Dabei handelt es sich um klassische Grundlagenforschung, aber die Entdeckung könnte letztlich auch Auswirkungen auf die Herstellung von Medikamenten haben, die auf der Zuckerbiologie beruhen – etwa für Organtransplantationen, Krebstherapien oder Behandlungen gegen virale Infekte.
Entscheidendes Instrument für die Erforschung von Molekülstrukturen ist die Kryo-Elektronenmikroskopie. Proteine in den Membranen von Zellen und Zell Organellen konnten damit bis jetzt kaum aufgeklärt werden, weil sie oft zu klein sind. Auch diesbezüglich ist ihm ein Durchbruch gelungen. «Wir haben uns überlegt, dass es vielleicht klappt, wenn wir einen Antikörper ans Protein binden und damit das Gewicht erhöhen.» Bei einem Forschungsaufenthalt in Chicago lernte der Doktorand Bloch, synthetische Antikörper herzustellen – und tatsächlich: Es klappte.
Heute forscht Joël Bloch als Postdoktorand bei Chemie-Nobelpreisträger Roderick MacKinnon an der Rockefeller University in New York. Im Zoom-Call erzählt der passionierte Forscher, dass er die Stadt gerne auf langen Spaziergängen erkundet. Seine Dissertation war hingegen alles andere als ein Spaziergang: «Joëls Projekte gehörten alle in die Kategorie der Hochrisikoprojekte, und es mussten viele experimentelle Schwierigkeiten überwunden werden», sagt Blochs Doktorvater Kaspar Locher. Sein Schützling kann das nur bestätigen: «Es braucht einen grossen Durchhaltewillen, manchmal sieht man Jahre lang keine Resultate. Die meisten Sachen haben nicht funktioniert.» Es ist, so Bloch, wie die erste Expedition in die Antarktis: «Man weiss nicht, was einen erwartet, ob man jemals ankommt – und ob man wieder zurückkehrt.»
Forschungsleidenschaft als «unbezahlbares Geschenk»
Doch letztlich ist es genau dieser Pioniercharakter, der die Strukturbiologie für den jungen Wissenschaftler nach wie vor so «extrem faszinierend» macht. «In ästhetischer Hinsicht ist es sicher eine der schönsten Wissenschaften», sagt er mit strahlenden Augen. «Wenn man die Struktur eines Proteins löst, erhält man ein wunderschönes Bild und man ist der erste, der das jemals sieht. Und oftmals erlauben es einem diese Strukturen Fragen zu beantworten, welche die Biologie jahrzehntelang vor ein Rätsel gestellt haben.» Den Prix Schläfli und die damit verbundene Vortragstätigkeit sieht er denn nicht zuletzt auch als Verpflichtung, in anderen jungen Menschen das Feuer für die Wissenschaft zu entfachen «so wie es damals meine Kantilehrer bei mir taten.»
Und so möchte er auch weiterhin in der strukturellen Zellbiologie forschen, «mit Techniken, die wir jetzt vielleicht noch gar nicht kennen.» Er träumt von einer Professur in der Schweiz oder den USA oder irgendwo «wo das Setting stimmt.» Zwar seien die Löhne der Industrie verlockend, insbesondere in den USA. «Aber an vorderster Front der Wissenschaft zu sein ist ein unbezahlbares Geschenk», betont er. «Das lässt sich nicht mit Geld aufwiegen.»